Die CDU titelt im hessischen Wahlkampf „AUTO VERBIETEN VERBOTEN!!!“ als hätte sie direkt den rechtskonservativen Twitterstream von Welt bis AfD-Friendos auf Papier gebannt. *

Ich würde sagen mutmaßlich will NIEMAND in der hessischen Politik Autos verbieten. Gerade in Hessen muss man sich da nun wirklich keine Gedanken machen. **

Aber die CDU hat damit wie auch beim „Heizverbot“ oder „Heizungsverbot“ das grundsätzliche Drehbuch des Rechtspopulismus kopiert, das spätestens seit Jörg Haider gilt:

Schritt 1) du erfindest etwas, was DIE LINKEN oder DIE GRÜNEN angeblich verbieten wollen

Schritt 2) du präsentierst dich als den aufrechten Freiheitskämpfer gegen dieses Verbot, das niemand plant

Schritt 3) du wirst begeistert gewählt

Statt windiger Wahlversprechen, die du nie halten wirst oder jemals vorhattest zu halten, jetzt einfach erfundene Wahlversprechen, die sich erfüllen OHNE, DASS DU WAS TUST! Einfach nur durch PURE ANWESENHEIT und Verbotssuggestion!

Das Perpetuum immobile der Politik!

Zeitgleich formulierte Alice Weidel unter tosendem Applaus folgende eindrucksvolle Zeilen: „Sie wollen uns die Heimat kaputt machen. Sie wollen uns die Schweinshaxe, die Bratwurst … das Schnitzel verbieten! Und ich kann euch sagen, ich lasse mir nicht mein Schnitzel wegneh-men. Niemand geht an mein Schnitzel! Wir werden von Wahnsinnigen regiert! Und von Idioten! Liebe Freunde!“

Man möchte sagen: „Niemand will dir ans Schnitzel, Alice!“ aber vor allem „Wie bekomme ich die Bilder jetzt wieder aus meinem Kopf?!“

Aber es stimmt doch, denn laut Welt und BILD hat Cem Özdemir Veggizwang verordnet und Fleisch verboten!

Sagt die Headline. Der Fließtext sagt: Cem Özdemir hat nichts für Deutschland verboten (wie könnt er euch), er hat nichts in der Kantine des Ministeriums verboten, er hat einfach nur bestimmt wie auf VERANSTALTUNGEN des Ministeriums die Vorgaben an Caterer sind.

Und die Vorgaben sind: Öko-Lebensmittel, möglichst regional und vegetarisch. Wobei ich davon ausgehe, dass das vegetarisch auch eine Folge der ersten beiden Vorgaben ist – wer einmal versucht hat im Bioladen Fleisch zu kaufen, weiß was ich meine.

Natürlich stehen solche Vorgaben einem Grünen Ministerium sehr gut zu Gesicht. Und natürlich werden Welt und BILD demnächst durch die Kantine des Ministeriums recherchieren und eiskalt aufdecken, dass in einem angeblich dem KLIMASCHUTZ verpflichteten GRÜNEN Ministerium FLEISCH gegessen wird! GRÜNE DOPPELMORAL! DA SIEHT MANS MAL WIEDER!

Ich habe überhaupt nichts gegen einen zünftigen politischen Kampf auch mit harten Bandagen. Ich teile hier gerne aus, ich kann auch einstecken.

Aber ein Anti-Verbots-Wahlkampf, der fast komplett auf postfaktischen Erfindungen basiert, ruiniert die politische Kultur und ist einer modernen Demokratie unwürdig. Wir arbeiten uns Stück für Stück Richtung Trump und ich sags mal so: Manche Bundesländer weit im Süden sind da schon ein gutes Stück voraus.

In der Kornkammer Griechenlands ist über Nacht ein See von 60 km Länge und 50 km Breite entstanden, in dem das Wasser 4 Meter hoch steht, und wir diskutieren Phantome.

…..

Zum Abschluss noch ein paar grundsätzliche Worte zu Verboten. Ich bin, auch wenn das manche verwirren wird ein großer Fan von Freiheit. Vor allem gedanklicher Freiheit. Mein Leitsatz ist:

So viel Freiheit wie möglich und so viele Verbote wie nötig.

Ich lege mich immer wieder mit meiner eigenen Bubbel an, weil ich sehr wenig vom täglichen Kampf um Sprache und Gedanken halte und auch absolut kein Fan davon bin sofort jeden als „Rassist“ zu klassifizieren, der aus Unwissenheit oder Gedankenlosigkeit einmal zuviel nach der Herkunft gefragt hat.

Manche Dinge muss man in einer offenen Gesellschaft akzeptieren aber auch eine offene Gesellschaft sollte darauf achten sich nicht selbst die Lebensgrundlagen zu zerstören.

Und da gilt: Gesetzliche VERBOTE für alle haben häufig das Ziel PRAKTISCHE VERBOTE für viele zu verhindern.

Wenn Mord und Vergewaltigung nicht Verboten ist – um jetzt auch mal maximal populistisch zu sein – dann bedeutet dass für eine komplette Gesellschaft das praktische Verbot in Zivilisation und Frieden zu leben.

Wenn das sinnlose Verschmutzen der Natur mit Giften und Chemikalien nicht verboten ist, habe ich das PRAKTISCHE VERBOT halbwegs intakte Natur zu genießen.

Wenn Blei in Benzin nicht verboten ist, habe ich das PRAKTISCHE VERBOT einer höheren Lebenserwartung.

Wenn wir nicht nach- und nach die schlimmsten Quellen von CO2 und co. runterfahren oder verbieten bedeutet das das PRAKTISCHE VERBOT für alle Jüngeren halbwegs katastrophenfrei durchs Leben zu kommen.

Es bedeutet auch das PRAKTISCHE VERBOT den Regenwald zu betreten, in einem Korallenriff zu tauchen oder Gletscher zu sehen. Es verbietet viel mehr als ein Ausfaden der VERBRENNER (und NUR der) jemals verbieten könnte.

Daher lasst uns gerne mit harten Bandagen kämpfen aber es sollte den Minimalkompromiss geben komplett erfundenen Bullshit wegzulassen. Ansonsten kopieren wir die USA und das muss nun wirklich. Nicht. Schon. Wieder.

Euer Captain Futura
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* bösartige Menschen würden sagen, dass Welt und AfD-Friendos gewisse Schnittmengen aufweisen.
** Ja das ist ein kleiner Seitenhieb an die Grünen in Hessen

P.S. In der Coronazeit konnte man sehen, dass auch eine überzogene moralische Verbotsfreude entstehen kann. Keine Sorge ich bin nicht unter die Schwurbler gegangen, aber wie ohne tragfähige wissenschaftliche Evidenz selbst Freiluftveranstaltungen und Sport teilweise bis zum Geht-Nicht-Mehr gegängelt wurden, das war einfach nur traurig, kurzsichtig und dumm. Und von vielen wurde immer noch mehr und härter gefordert. Daher: Auch und GERADE Verbote gehören hinterfragt. Denn sie sind das härteste Mittel.