Nach dem Rassismuseklat um das Champions-League Spiel zwischen Paris und Basaksehir von mir ein paar systematische Worte dazu. Der Streit tobt ja nun im Nachhinein darum, was der vierte Offizielle genau gesagt hat. Er verteidigt sich damit, dass er âNegruâ gesagt hĂ€tte, also das rumĂ€nische Wort fĂŒr âschwarzâ. Aber wĂ€re das besser oder genau so eine Beleidigung und wie lĂ€sst sich das logisch einordnen?
Stellen wir uns eine abstrakte Gesellschaft vor, aus insgesamt 100 Menschen. 99 davon weiĂ, eine Person schwarz. Nun kommen hauptsĂ€chlich zwei Effekte zum Tragen: Unsere Differenzwahrnehmung und unsere Automatik bei der Bewertung von Gesichtern. Letztlich ist es kurz gesagt so, dass wir auf die Wahrnehmung von Unterschieden ausgelegt sind. Denn blöd gesagt: Unterschiede machen den Unterschied zwischen Leben und Tod. Dinge, die gleich bleiben sind erst einmal uninteressant, da hier ja wahrnehmbar nichts passiert. Sie können weder zum Vorteil genutzt werden, noch zum Nachteil sein. Aber wenn sich etwas verĂ€ndert, oder etwas anders aussieht greift unsere Differenzwahrnehmung und sagt: âSchau hin, da ist was anders, das solltest du ĂŒberprĂŒfenâ
Nun kann man in einem Meer aus 99 weiĂen Menschen unmöglich einen schwarzen NICHT wahrnehmen. Der Ă€uĂerliche Unterschied ist zu auffĂ€llig. Es werden also Augen hĂ€ngen bleiben und Köpfe drehen. Das ist zu groĂen Teilen ein instinktiver Prozess, der kaum abstellbar ist.
Da keiner der WeiĂen fĂŒr die anderen eine Differenz darstellt, wird es auch keinem von diesen auffallen. Dem einen schwarzen Menschen, dagegen wird es bei 99 WeiĂen, die ihn als Differenz wahrnehmen STĂNDIG auffallen.
Jetzt kommt ein weiteres Problem zum Tragen: Wir finden erst einmal ohne Erfahrungswerte Menschen vertrauenswĂŒrdig, die uns Ă€hnlich sehen. Das schleift sich mit der Zeit ab. Aber: Wir lernen (sofern wir halbwegs gesund aufwachsen) uns selbst zu trauen, trauen unser engen Familie und Freunden, bei Unvertrautem fremdeln wir dagegen auch als Erwachsene – zumindest bis eine Gewöhnung einsetzt. Das passiert aber auch in JobgesprĂ€chen. Bei Wohnungsbesichtigungen. Bei GeschĂ€ften.
Folge wieder fĂŒr 99 WeiĂe kaum wahrnehmbar, fĂŒr den einen schwarzen Menschen dagegen STĂNDIG Teil seiner Erfahrung.
Er wird im Mittel schlechter verdienen, er bekommt schlechter eine Wohnung und ihm wird bei GeschĂ€ften nicht so sehr vertraut. Er kann sich aber natĂŒrlich ĂŒber die Zeit eine persönliche Vertrauensbasis mit vielen Menschen aufbauen, bis er nicht mehr als different sondern vertraut wahrgenommen wird.
Trotzdem kann man sich vorstellen: Das kann sehr Àtzend und sehr anstrengend sein.
Kommen wir damit zu den Worten. Wenn es um Mohr oder N**** geht ist die Lage eindeutig. Es sind Worte, die ursprĂŒnglich das âFremdeâ beschreiben sollten aber inzwischen durch Kolonialzeit und Nazizeit so belastet und vergiftet sind, dass ihr Verwendung nicht sinnvoll begrĂŒndbar ist.
Was ist nun mit âfarbigâ oder âschwarzâ. Zu âfarbigâ möchte ich einwenden, dass die Blue-Man-Group bei ihren Auftritten durchaus âfarbigâ ist, aber normale Menschen nicht blau oder lila angemalt sondern in Schattierungen von hell bis dunkel kommen. Und wenn schon farbig, sind fast eher âweiĂeâ rosa bis rot (Je nach Grad des Sonnenbrandes) – mithin eigentlich farbiger. âSchwarzâ wiederum ist auch irgendwie als Sammelbegriff fĂŒr alles jenseits von weiĂ eher unglĂŒcklich. Beide Begriffe sind aber immerhin wie analog âweiĂâ – was ja letztlich genauso unexakt ist – immerhin sehr nĂŒchtern beschreibend.
Warum können trotzdem beide Begriffe ein Problem sein?
Nun, kommen wir wieder zu unserem Beispiel. Wenn dir von einer Person am Tag gesagt wird, dass du âweiĂâ bist ist das kein Problem. Wenn dir von 99 Personen am Tag mitgeteilt wird, dass du âschwarzâ bist – wird dir permanent gespiegelt, dass du âandersâ bist. Der Leidensdruck ist also ein ganz anderer. Zudem sind âschwarzâ und âweiĂâ hĂ€ufig Ausdruck von gedanklicher TrĂ€gheit. Es wird jemand unnötig als âschwarzâ bezeichnet, der in dieser Situation z.B. einem BewerbungsgesprĂ€ch viel klĂŒger abzugrenzen wĂ€re. Zum Beispiel mit: âDer Bewerber, der einen Doktor gemacht hat.â Dies kann man sehr wahrscheinlich auch fĂŒr das Champions-League-Spiel annehmen – wo der vierte Offizielle mit etwas EinfĂŒhlungsvermögen und einen Hauch Nachdenken sicher einen bessere und passendere Beschreibung der angesprochenen Person gefunden hĂ€tte. Oder vielleicht ganz drauf verzichtet. Er war also nicht aggressiv rassistisch aber quasi passiv unnötig rassistisch – indem er sich keine Gedanken ĂŒber die Wirkung seiner Aussage auf den Angesprochenen gemacht hat.
Weil wir aber denkfaul sind und jederzeit klare Regeln haben wollen – die es in etwas so lebendigem und kontextabhĂ€ngigem wie Sprache NIEMALS geben kann ist unsere derzeitige Lösung dieses Dilemmas die Flucht in das Wortdomino. Ein Wort nach dem anderen wird verpönt und soll aus dem Wortschatz gestrichen werden, wobei die Konstrukte irgendwie nicht glĂŒcklicher werden. AfroeuropĂ€er z.B. stellt die Herkunft raus – und ich hatte ja immer die Hoffnung, dass wir uns in einer zukĂŒnftigen Welt endlich WENIGER ĂŒber unsere Herkunft definieren. Denn Herkunft war immer eines der ĂŒbelsten Einfallstore fĂŒr Abgrenzung und Kriege. Zudem, woher soll ich nun wissen, ob ich wirklich eine afrikanische Herkunft annehmen kann, wo vielleicht eine indische vorliegt? Und es wird wieder einseitig bei dunkelhĂ€utigen Personen eine fremde Herkunft angenommen obwohl wir ALLE letztlich AfroeuropĂ€er sind (Der Mensch ist immer noch in Afrika entstanden) und z.B. ein Teil meiner entfernten Herkunft in Osteuropa liegt. Da mĂŒsste ich ja eigentlich Osteuropadeutscher heiĂen.
Also gehts weiter mit People of colour, was ja irgendwie auch nur âfarbigâ auf englisch ist, was sich mir daher wenig erschlieĂt und dann schlieĂlich BPOC oder BIPoC. Also: Black-People-of-Colour bzw. Black-Indigenous-People-of-Colour. Und das heiĂt nun auch wieder nur Schwarz-(eingeboren)- Farbige. Aber auf englisch und abgekĂŒrzt. Das ist semantisch eigentlich auch wieder nur alter Wein in neuen SchlĂ€uchen und ich finds komisch wenn ich auf deutsch nur Dinge in einer anderen Sprache âunrassistischâ ausdrĂŒcken kann. Da muss ich sagen verlierts mich. Das KANN nicht sein. Es muss möglich sein in meiner Sprache zu bleiben und trotzdem nicht als Rassist zu gelten. Zudem kann ein Rassist wiederum auch BiPOC als ĂŒble rassistische Beleidigung nutzen. Er muss den Kontext nur entsprechend setzen. Und wĂ€re er dann oberflĂ€chlich „nicht rassistisch“ weil er ja das „richtige“ Wort gesagt hat. Aber bin ich rassistisch wenn ich sage, dass „schwarze“ mehr wirtschaftliche Teilhabe brauchen? Weil ich das falsche Wort nutze? Das Problem ist also nur scheinbar beseitigt.
Kommen wir daher wieder zum Ursprungsproblem. Das ist:
1. Die unnötige und undurchdachte Benutzung von Begriffen wie âschwarzâ oder âweiĂâ.
2. Die wirtschaftlichen Nachteile, daraus als âandersâ wahrgenommen zu werden.
Daher schlieĂen sich fĂŒr mich zwei Dinge:
1. Relevant ist der Kontext. Es gibt Kontexte in denen âschwarzâ, âfarbigâ oder âweiĂâ Sinn macht, z.B. in Gefahrensituationen oder beim Arzt – in vielen sind sie aber ein Ausdruck gedanklicher TrĂ€gheit und mangelndem EinfĂŒhlungsvermögen. Dies können wir auch mit Begriffswechseln nicht Ă€ndern, wir machens nur komplizierter.
2. Wenn âschwarzeâ / âfarbigeâ / BPOC endlich wirtschaftlich besser gestellt werden und in den Hierarchien aufsteigen können – dann kommen sie auch in die Position ĂŒber andere mitzuentscheiden. Z.B. beim EinstellungsgesprĂ€ch und dann erledigt sich das Grundproblem zunehmend. Es setzt Gewöhnung ein, die Hautfarbe wird immer unwichtiger und taugt offensichtlich nicht als Abgrenzung.
Daher ist fĂŒr mich recht eindeutig: Wir mĂŒssen keine einzelnen beschreibenden! Worte verdammen – aber der unsinnige Gebrauch auĂerhalb eines sinnvollen Kontexts gehört durchaus verpönt.
Und wir brauchen endlich mehr anonyme Bewerbungsverfahren und ein strikteres Reglement bei Wohnungsvergaben etc. Wir brauchen also ganz praktische Verbesserungen. Schlicht: Mehr Geld. Mehr Einfluss. Gerade neuere Studien haben wieder gezeigt, dass der âandereâ Name und die âandereâ Hautfarbe bedeutet: Dass man weniger verdient, schlechter ein Wohnung bekommt und sehr viel hĂ€ufiger im Job ĂŒberqualifiziert ist.
Um zum Ausgangsbeispiel zu kommen: Deutschland ist und war immer und jederzeit ein Vielvölkerstaat. Wir sind ja lĂ€ngst ethnisch viel gemischter als hĂ€ufig behauptet und in meinem abstrakten Beispiel. Dabei ist wirtschaftliche Teilhabe der verschiedenen Gruppen der Weg, um sich einen fairen Platz und Anteil SELBST zu erkĂ€mpfen. Und sich selbst als Spieler und nicht als Gespielter wahrnehmen zu können. Wir brauchen neue NormalitĂ€ten. Das ist harte Arbeit und braucht SensibilitĂ€t und Mut auf allen Seiten, ist aber fĂŒr mich der einzig gangbare Weg.
Denn die stĂ€ndige, erregte Diskussion um die âjetzt-aber-wirklich-korrekteâ Bezeichnung bei gleichzeitig wirtschaftlichen Kleinhalten wird die Lage nicht verbessern und wir werden uns bei den Diskussionen vermutlich ewig im Kreis drehen.
Daher: Black Chances Matter!