Mein Verdacht ist ja: 99 % der angeblichen „Fahrradstraßen“ hätte man früher einfach „Nebenstraße“ oder „Wohnstraße“ genannt. Aber dann kam plötzlich Druck schnell etwas für Fahrräder zu tun, weil die Städte immer mehr mit Autos verstopften. Na und weil wir in Deutschland sind, ist „Etwas für Fahrräder tun“ selten bis nie „etwas gegen Autos tun“. Statt dessen versucht man naiv bis hilflos eine friedliche Koexistenz zu konstruieren indem man den Rädern ein paar Schilder und aufgemalte Markierungen hinwirft. Superpraktischer Nebeneffekt: Man kann Gelder aus dem Fahrradetat für die Sanierung von Autostraßen und Parkplätzen verwenden und trotzdem großspurig behaupten: „Man hätte mit Millionen den Radverkehr gefördert“ – das macht den gemeinen Planer in DE offensichtlich gleich doppelt glücklich.
Klar, in Realitas sind da einfach nur ein paar Markierungen und Schilder, die eigentlich, wenn man mal ganz ehrlich ist, ziemlich wenig bedeuten. Denn natürlich darf jeder mit dem Auto weiter durchfahren. Ach und jeder mit dem Auto links und rechts parken. Und Türen aufreißen. Und halt auch mal in zweiter Reihe mit Warnblinker stehen. ABER Radfahrer können Nebeneinander fahren! Wow! Gamechanger! Nun sind die meisten Fahrradstraßen nicht für Tourismus, sondern für Alltagsverkehr, da fährt man häufig eh alleine und nicht nebeneinander. Aber man könnte! Denn theoretisch hat man auf dem Rad ja auch Vorfahrt. Praktisch wird man natürlich trotzdem gerne mal angehupt. Vermutlich weil manche Autofahrerinnen so schnell fahren, dass sie im Vorbeifahren das Kleingedruckte auf den „Fahrradstraße“-Schildern leider nicht lesen können oder einfach ständig jemanden sehen, den sie grüßen wollen. Praktisch macht auch das Überholverbot nichts besser. Denn das führt dazu, dass die stinkende Karre vor dir hinter einem mit 12 km/h kriechenden Radfahrer festhängt und dich stotternd vollrußt während du als mobiler Luftfilter sie halt auch nicht überholen kannst, da der Kollege komplett nervös fast in der Mitte der Fahrban Schlangenlinien kurvt weil ALLES IN IHM ENDLICH ÜBERHOLEN WILL!!!
Da ist man dann häufig fast erleichtert, wenn der Drängler vor oder hinter einem einfach heulend vorbeizieht, und naja, der nächste von hinten ranfährt.
Ich wäre daher dringend dafür neue Standards für Fahrradstraßen zu definieren.
1. Eine Mindestlänge. Manche Städte stehen mit superkurzen Altstadthäusern im Reiseführer („Krass, das ist so schmal, da kann man drin wohnen?“), Hamburg sollte mit superkurzen „Fahrradstraßen“ im Reiseführer stehen. Manche sind so kurz, da fährt man länger über den Aldi-Parkplatz, was vor allem gut passt, weil sie faktisch auch einfach Parkplätze sind, auf denen jemand ein „Fahrradstraßen“-Schild aufgestellt hat. Denn das lässt sich die kommunale Prominenz natürlich nie nehmen. Ein „Fahrradstraßen“-Schild mit viel Tamtam aufstellen. Praktisch beim Einweihungsfoto: Man kann das Aufstellen beider „Fahrradstraßen“- Schilder am Anfang und am Ende der „Fahrradstraße“ problemlos auf ein Foto kriegen!
2. Gold, Silber- und Bronzestandard für Autofreiheit. Gold wäre einfach autofrei. Woah. Was für ein Wort. Da das in Deutschland keinerlei Chance auf Umsetzung hat (sorry, es ist kurz mit mir durchgegangen) der Silberstandard: Wirklich nur Anlieger, von der Polizei regelmäßig kontrolliert (haha) und HART bestraft (hahaha). Naja man wird ja wohl noch träumen dürfen. Auf jeden Fall sehr wichtig: Maximal eine Seite mit parkenden Autos. Das würde auch für den Bronzestandard gelten. Denn das finde ich enorm wichtig. Jegliches Gefühl und Sinn einer Fahrradstraße ist für die Tüte wenn man durch ein beidseitiges beengtes Spalier aus parkenden Autos fährt bei denen jederzeit die Tür aufspringen kann.
Und wenn man das mal hinkriegt, dann lass ich mich auch auf den Namen Fahrradstraße ein.
Ansonsten sollte man eigentlich alle derzeit bestehenden Fahrradstraßen mit Anführungszeichen versehen. Aber sowas würde ich Sprayern und Radaktivistinnen selbstverständlich niemals vorschlagen.
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P.S. Versteht mich nicht falsch: Selbst „Fahrradstraßen“ sind teilweise eine Verbesserung gegenüber dem Status Quo und besser als nichts ABER mir geht es darum hier zu zeigen, dass noch VIEL Luft nach oben ist. Und vor allem sehr kurze „Fahrradstraßen“ bringen tatsächlich so gut wie nichts, weil sich dann auch kein durchgängiger Fahrradverkehr etabliert, der auf Dauer die Autofahrer zumindest teilweise vertreibt.